|
||
Im Buch sind 20 seitengrosse Illustrationen
|
HANSPETER ZÜRCHER und JANINE HÖCKERDER KLEINE, DER SCHRÄGE UND DER KAUZIGE VOGELKAPITEL 1 - Der kleine Vogel
Es war einmal ein kleiner Vogel, der lebte auf einem Bauernhof. An diesem Morgen sass er gemütlich auf dem breiten Rand des großen Brunnens, der im Hof vor dem Stall stand, und putzte sein Gefieder. Dabei überlegte er, was er denn heute unternehmen könnte. Doch es fiel ihm zuerst nichts ein. Da erinnerte er sich an die beiden großen, braunen Vögel, die vor einiger Zeit hier vorbeigekommen waren. Unser kleiner Vogel hatte gut versteckt in den Ästen eines Baumes ihre Unterhaltung belauscht. Sie redeten von den Bergen und wie schön es dort sei. Genau! Das ist es! Ich mache heute einen Ausflug zu den Bergen! Das ist bestimmt sehr spannend. Seit ich geboren bin, lebe ich immer nur hier auf dem Bauernhof und jetzt ist es an der Zeit, etwas Neues zu sehen. Aber, wo finde ich überhaupt diese Berge? Und wie sehen Berge überhaupt aus? Der kleine Vogel flog vom Rand des Brunnens zu einem nahe gelegenen Baum und setzte sich auf den höchsten Ast. Von dort oben blickte er sich um, wendete seinen Kopf hierhin, reckte und streckte seinen Hals dahin. Und der kleine Vogel sah Wiesen, Felder, Büsche, Bäume und natürlich auch das große Bauernhaus mit der Scheune und dem Stall daneben, in dem er geboren war. Doch das kannte er alles schon zu genüge. Nichts von alledem sah aus wie etwas, das man Berge nennen konnte. Nun wird es aber Zeit, dass wir unseren kleinen Vogel etwas besser kennen lernen. Das Allerwichtigste: Der kleine Vogel ist gar kein Er, sondern eine Sie. Und sie heißt mit vollem Namen Luscinia Megarhynchos. Doch ihren Freunden ist dieser Name viel zu kompliziert und darum wird sie von allen bloß Meg gerufen. Das Gefieder unserer Meg ist recht unscheinbar. Der Rücken und ihr Schwänzchen sind rostbraun, ihre Brust und der Bauch graubraun. Wenn sie aber von Baum zu Baum fliegt oder von Ast zu Ast hüpft, dann bewegt sie sich sehr elegant. Singen ist die große Leidenschaft von Meg. Aber es ist kein gewöhnliches Singen, nein, so etwas nennt man Jubilieren! Und wenn unsere Meg anfängt zu jubilieren, dann wird es rundum still, denn alle anderen Tiere lauschen verzückt ihrem wunderschönen Lied. Rosa ist gescheit, denn sie ist schon weit in der Welt herumgekommen, dachte sich Meg. Bestimmt weiß sie, wie Berge aussehen und wo man sie finden kann. Und so flog sie von der Baumspitze hinunter zum Bauernhaus und dort direkt in den großen Stall hinein. Über einer der Boxen war ein Schild angebracht auf dem stand in großen Buchstaben ROSA. Und in der Box stand eine Kuh und kaute genüsslich Heu. »Hallo, meine liebe Freundin«, begann Meg, »kannst du mir bitte sagen, wie Berge aussehen und wie ich dahin komme?« »Mmm«, kam als Antwort zurück, »was willst du denn in den Bergen?«, und sie schüttelte ihren mächtigen Kopf. »Na, ich will sie einfach mal sehen und heute zu ihnen hinfliegen. Dort ist es bestimmt schön. Und so ein Ausflug ist bestimmt sehr aufregend«. »Mmm«, meinte Rosa, »als ich noch jung war, bin ich in den Bergen gewesen. Doch das ist lange her. Die Berge sind schon schön anzusehen, doch sie können auch gefährlich sein. Du bist noch viel zu klein für so eine weite Reise. Und an einem einzigen Tag kannst du sowieso nicht dorthin fliegen. Das ist viel zu weit.« »Nein, meine kleine Freundin, die Gefahr ist zu groß. Ich werde dir nicht erklären, wie du zu den Bergen kommst. Das kann ich nicht verantworten.« Nun war unsere Meg aber sehr enttäuscht und auch etwas böse auf Rosa und sie dachte: du dumme Kuh! Was weißt du schon, was ich alles machen kann. Ich bin zwar klein, aber ich bin auch stark. Und ich bin sehr mutig. Ich habe keine Angst. Auch nicht vor den Bergen. Doch was mache ich jetzt? Wen kann ich denn anstelle von Rosa nach dem Weg fragen? Da wäre der Kater Schnurrli natürlich. Aber ich glaube, das lass ich lieber sein. Er ist zwar schon recht alt und auch meistens nett zu mir. Doch ich weiß genau, dass er Vögel zum Fressen gern hat. Er wird mir den Weg sicher auch nicht zeigen wollen. Und der Hofhund Prinz? Nein. Der wird mir auch nicht weiterhelfen können, denn der kommt ja nicht weit herum und war bestimmt noch nie in den Bergen. Also muss ich es wohl ganz alleine versuchen. Na gut, ich bin vielleicht klein, trotzdem bin ich mutig und gescheit. Und mit diesen Gedanken entschloss sich unsere Meg, auch ohne die Hilfe ihrer Freunde sich aufzumachen und die Berge zu suchen.
|
|