Gestern hat mich meine Frau aufs Grässlichste beleidigt. Wir sassen beim Abendessen und erzählten uns dies und das und was wir am heutigen Tag so erlebt und erfahren hatten. Plötzlich sah mich meine Frau mit ernstem Blick an und meinte: „Du, Rolf. Weißt Du eigentlich, dass Du der wichtigste Mann in meinem Leben bist?“
Über diese bodenlose Frechheit war ich sprachlos, denn ich kann Ihnen versichern, ich bin weder ein Zwerg, noch trage ich öfters als üblich eine Zipfelmütze.
|
ROLF ROTHACHER / GESCHICHTEN UND GEDANKEN ZWEIER BUCHHALTER
DIE MANAGER-SOCKEN
Meine Frau hat mir kürzlich Manager Socken gekauft. Sie sind aus einhundert Prozent mercerisierter, also veredelter Baumwolle und wahrscheinlich sehr teuer. Sie sind weder dick noch dünn, gerade richtig und man spürt keine Nähte. Es sind ganz einfach perfekte Socken.
Sie fragen sich, warum ich weiß, dass es Manager Socken sind?
Nun, da ist zum einen die Farbe. Die Socken sind nämlich schwarz oder dunkelblau, das heißt, wenn ich es mir recht überlege, sind sie dunkelblau ... oder doch eher schwarz? Denn ob ich die Socken zum Stapel der Schwarzen lege oder zu den Blauen – sie passen in beiden Fällen perfekt dazu. Man vermag diese Socken einfach nicht richtig einzuordnen.
Es geht mir so ähnlich wie Steve Martin in ‚Der Vater der Braut’ mit seinem nachtblauen oder schwarzen Smoking. Für mich sind die Socken absolut schwarz, aber mit größerer Wahrscheinlichkeit sind sie doch tief dunkelblau.
Doch das wichtigere Indiz, dass es sich um echte Manager Socken handeln muss, ist die kleine Stickerei. Nein, ich meine nicht das Logo des Herstellers, das sinnfreierweise auf Wadenhöhe angebracht ist und so für niemanden erkennbar, außer dem Käufer und Träger der Socken.
Nein. Ich meine das kleine ‚R’, das auf der einen Socke in Höhe des großen Zehs eingestickt ist und das (Sie werden es sich schon denken) ‚L’ auf der anderen Socke. Das ‚R’ steht für Rechts, das ‚L’ für Links, beziehungsweise für ‚Right and Left’, denn die allgemein übliche Managersprache ist nun einmal Englisch und nicht Deutsch.
Ehrlich gesagt, finde ich es beunruhigend, wenn sich die Verantwortlichen von Milliardenumsätzen und Tausenden von Arbeitsplätzen vor der allmorgendlichen, schwierigen Entscheidung drücken ‚Welche Socke ziehe ich heute welchem Fuß an?’ Lieber bemühen sie dafür externe Helfer, die ihnen sagen, was wohin gehört.
Sind die Socken vielleicht ein Zeichen der Zeit, ein weiterer Beweis, warum es unserer Wirtschaft nicht mehr so gut geht wie früher?
Wenn Führungskräfte schon beim morgendlichen Anziehen Entscheidungsschwäche zeigen und die Hilfe von Dritten benötigen, welche Unterstützung brauchen sie dann erst bei ihrer täglichen Arbeit?
Ist das vielleicht der Grund, warum sich in vielen Firmen die externen Berater die Türklinke in die Hand geben? Haben unsere Manager das Entscheiden verlernt? Ihre Unsicherheit bei der morgendlichen Sockenwahl weist jedenfalls in diese Richtung.
Aber wahrscheinlich sehe ich das Ganze wieder einmal viel zu schwarz oder dunkelblau.
Übrigens: Wenn man sich diese Socken anzieht und allzu große Schritte macht, dann rutschen sie an den Waden herunter. Sie können nicht mit meinem Tempo mithalten und sind deshalb den hohen Preis, den man für sie bezahlen muss, auf keinen Fall wert.
|