ULLI TOTH

DIE ZEITEN SIND LOS

die zeiten sind los
gellt es durch den raum
wir haben es kommen sehn
jammern die guten
wir haben davor gewarnt
klagen die besseren
wir werden sie wieder einfangen
versprechen die besten –

zu spät
space

NEHMEN UND GEBEN

nehmen und geben
wie das feuer das holz verbrennt
und hitze erzeugt

wir wechseln uns ab
im nehmen und geben
sind einander feuer und holz

zurück bleibt immer wärme

drei-eck

CHRISTINE TEICHMANN / AUCH DIESER TAG

Trübblau lächelt der See. Eine große Zehe wackelt wehmütig im Wasser. Der Landesteg war früher auch nicht so morsch, der Himmel nicht so bewölkt und dieses Hühnerauge blinzelt ebenfalls erst jetzt träge dem Algenwuchs zu. Überdüngt nicht nur das Wasser, auch sie wohl genährt, gedeihender Oberlippenbart, allen festen Vorsätzen zum Trotz sogar Haarwuchs auf einer Warze, unentfernt. Die große Zehe schlägt kleine Wellen in die sonst so leblose Oberfläche, ihr Spiegelbild verschwimmt.

Vor ein paar Jahren noch hätte sie sich getraut, sich vorzubeugen, auch mit den Fingern zu plätschern; heute ist sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie ohne Hilfe wieder aufstehen kann. Die Hände bleiben trocken, dafür tränen die Augen. Wenn ihr Schwiegersohn sie noch einmal fragt, ob sie sich nicht den Badeanzug anziehen will, wird sie ihm ihre Krampfadern um die Ohren schlagen. In Gedanken schraubt sie ihre Beine ab und wirft sie ihm kreischend hinterher …

Sie schmunzelt vor sich hin, macht kleine, glucksende Geräusche mit ihren Zehen, die so fremd am Ende dieser weißen, blauädrigen Beine sitzen. Die Enkel sind genauso widerwärtig, wie es einst ihre Tochter war, die inzwischen, zur Erzeugerin des Picknickkorbes aufgestiegen, Lob und Tadel in Form von Leckerbissen und deren Verweigerung verteilt.

Ob man ihr belegtes Brot wohl an die Fische verfüttern würde, glitte sie jetzt ganz unbemerkt vom Steg – blubb. Vor dreißig Jahren wäre sie bis zum Schilf getaucht, hätte durch ein Rohr geatmet und gewartet, bis sie endlich alle nach Hause gefahren wären. Dann wäre sie nackt im See geschwommen, hätte den Mond angeheult …

Aufmüpfig plätschert ihr linker Fuß im Takt mit dem rechten. Auch diesen Muttertag wird sie überstehen.

SIMON DREMEL / DIE STADT DES GLÜCKS (1. Kapitel)

Es war schön, im Ledersessel am Fenster zu sitzen und die vorbeifliegenden Hubschrauber zu beobachten. Es war Friedenstag, da flogen viele Menschen mit dem Hubschrauber in die Parks der Stadt.

Jonathan schlürfte zufrieden seinen Himbeersaft und drückte auf einige Knöpfe an der Sessellehne, um Musik zu hören. Er überlegte, ob er jemanden anrufen sollte, einfach nur so. Dann könnte man sich ab und zu anlächeln oder über belanglose Dinge reden. Er könnte Maria anrufen, die er in ein paar Wochen heiraten würde, weil sie einander zugeteilt worden waren. Nach der Heirat würden sie in eine größere Wohneinheit ziehen und zwei Kinder haben, wie angeordnet. Er hatte sich schon lange nicht mehr mit Maria unterhalten, dabei war sie ein nettes Mädchen. Doch was sollte er ihr erzählen? Dass Friedenstag war? Das wusste sie natürlich selber. Es würde sie auch nicht interessieren, dass er am Fenster saß und den Hubschraubern zusah und Himbeersaft trank. Genau genommen wollte auch Jonathan nicht wissen, was Maria tat. Es interessierte ihn einfach nicht. Statt jemanden anzurufen, könnte Jonathan auch einen Film im MediaVisor ansehen, aber viel interessanter als die vorbeifliegenden Hubschrauber waren die Filme auch nicht. Also blieb Jonathan einfach sitzen, beobachtete die Hubschrauber und trank Himbeersaft. Es war Abend, zwischen sechs oder sieben Uhr, als jemand auf den Türsummer von Jonathans Wohnung drückte. Auf dem Wandschirm erschienen einige Männer, die in silbergrüne Abwehranzüge gekleidet waren. In den Händen hielten sie Strahlenpistolen. Als der Anführer der Männer wieder auf den Türsummer drückte, stand Jonathan auf und ging zur Tür, um zu öffnen.

„Wir sind von der Sicherheitspolizei“, sagte der Anführer der Männer freundlich, „wir führen eine Kontrolle durch.“ Jonathan nickte vergnügt. Der Sicherheitspolizist hatte eine lustige Nase.

Die Sicherheitspolizisten kamen oft in die Häuser, um Kontrollen durchzuführen. Das war gut für die Sicherheit, dass wusste Jonathan aus der Schule. Wenn die Sicherheitspolizei einen Kriminellen oder einen Unruhestifter fand, dann nahmen sie ihn sofort fest oder erschossen ihn, wenn er sich wehrte. Das war gut für die Gesellschaft, weil dann niemand, der Böses im Schilde führte, entkommen konnte. Wie immer, wenn die Sicherheitspolizei bei Jonathan war, liefen zwei von ihnen zum Lüftungsloch und untersuchten mit Geräten, ob Jonathan auch frische und nicht die vergiftete Luft von draußen bekam. Dann sahen sie schnell nach, ob noch jemand anderes in der Wohnung war, und schließlich musste Jonathan in den Personentester gucken, damit die Polizisten sicher sein konnten, dass er auch wirklich Jonathan war. Als die Polizisten wieder gegangen waren, musste Jonathan eine Weile kichern, weil er sich vorstellte, eine andere Person außer ihm wäre noch in seiner Wohnung oder er wäre gar nicht Jonathan. Als er mit Kichern fertig war, zog er sich seinen Schlafanzug an und ging schlafen.