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WER WAR EPIKUR (Fortsetzung)

In Zeiten großer Männer müssen viele kleine Leute umherziehen und so wurden Epikur und seine Eltern von Samos nach Athen, von Athen nach Colophon, von Colophon nach Lesbos und dann nach Lampsacus in Kleinasien vertrieben. Sie gehörten zu den vielen unfreiwilligen Nomaden dieser kriegerischen Zeit.

Das Herumziehen hat Epikur stark geprägt. Mit 32 Jahren gründete er in Lampsacus seine Schule für Philosophie. Vier Jahre später siedelte er nach Athen über. Vor den Toren der Stadt erwarb er ein Haus mit kleinem Garten und die Gelehrten aus seiner Schule wurden im Volksmund bald einmal 'Die Philosophen vom Garten' genannt.

Epikur philosophierte über das Glück: »Es kommt alles darauf an, dass Du, Mensch, der Du heute und hier lebst, glücklich lebst.«

Diese Entdeckung trägt heute den Namen Epikur und seine Anhänger wurden und werden Epikureer genannt. Es ist dies der einzige Fall in der Geschichte der Philosophie, dass ein Eigenname in den allgemeinen Sprachgebrauch überging.

An Platons Akademie soll es eine Inschrift gegeben haben: "Wer nichts von Mathematik versteht, soll draußen bleiben." Am Eingang zum Garten des Epikur stand: "Freund, das ist ein guter Ort; hier wird nichts mehr verehrt als das Glück."

Die Lehre des Epikur kann sich durchaus mit derjenigen von Christus oder Buddha messen. Doch im Gegensatz zu diesen stellte sich Epikur gegen alle drei großen Mächte auf dieser Erde, nämlich gegen den Staat, gegen die Religion und auch gegen die Kultur, denn er betonte:

»Du bist nicht da für einen Gott mit seiner Kirche und nicht für einen Staat und schon gar nicht für eine Aufgabe in der großmächtigen Kultur. Du bist da, um Dein einziges, einmaliges Leben mit Glück zu füllen.«

Der griechische Staat war Philosophen gegenüber immer gewogen. Zeno, der Chef einer konkurrierenden Schule erhielt sogar den Schlüssel zur Stadt. Doch Epikur wurde gemieden, weil er sich bewusst vom öffentlichen Leben und von den Mächtigen fern hielt. Und er hieß sogar Frauen und Sklaven in seinem Garten willkommen und philosophierte mit ihnen, was zu jener Zeit völlig unüblich war.

Die Priester verteufelten seine Lehren mit Hilfe von Denunzianten. Ein Bruder seines Lieblingsschülers Metrodorus verkündete einmal über ihn 'Der Meister übergebe sich zweimal täglich, weil er so viel in sich hineinstopfe'. Und mit gefälschten Briefen und Quittungen für Liebesdienste von Huren versuchten Konkurrenzschulen, ihn bei der Obrigkeit in Misskredit zu bringen.

Er und alle, die nach seiner Lehre lebten, wurden bald als hemmungslose Genießer verleumdet und Epikur widersprach dem nicht, wenn er erklärte: »Jedes lebende Wesen strebt, sobald es geboren ist, nach Lust und freut sich daran als dem höchsten Gut, während es den Schmerz als das höchste Übel vermeidet.«

Allerdings hatte das Leben im Garten wirklich nichts mit Schlemmerei oder gar Völlerei zu tun, denn in einem Brief an einen Freund schrieb Epikur: "Schicke mir etwas Käse, damit ich einmal lecker essen kann, wenn mich die Lust dazu ankommt." Das hört sich wahrlich nicht nach sorgloser Schwelgerei an.

Epikur wollte den Menschen glücklich sehen. Dazu musste er ihn von der Furcht befreien: von der Furcht vor den Naturgesetzen, von der Angst vor Göttern und auch vor unnötigem Respekt vor Despoten. Der Mensch sollte hier und heute leben und sein Leben genießen. Das dritte Gebot seiner Lehre heißt:

»Lebe im Verborgenen! Entziehe dich den Vergewaltigungen durch die Gesellschaft - ihrer Bewunderung, wie ihrer Verurteilung. Lass ihre Irrtümer und Dummheiten und gemeinen Lügen nicht einmal in der Form von Büchern zu dir dringen.«

Epikur wurde damals nur von Wenigen verstanden. Doch er war weder sektiererisch, noch aufrührerisch tätig. Darum ernteten er und seine Anhänger weder Verfolgung, noch Tod, sondern blosse Verachtung durch die Mächtigen.

Diese mangelnde Verfolgung war der Grund, warum Epikur nicht zur Legende wurde, so wie Sokrates. Und er stiftete auch keine Religionen, wie Christus oder Buddha, denn ihm fehlte der Wille zur Öffentlichkeit und vor allem der Wille zur öffentlichen Provokation.

Auch starb Epikur nicht vorzeitig und gewaltsam, sondern mit 72 Jahren und erst noch durch Selbstmord. Er litt unheilbar an Blasensteinen. Kurz vor seinem selbstgewählten Tod schrieb er an einen Freund, 'dass die Krankheit seinen üblichen Verlauf nähme und es ganz scheußlich wäre. Doch sei er trotzdem recht guter Dinge, weil er sich mit Vergnügen an einige Unterhaltungen mit dem Freund erinnere.' Und bevor er den Kelch mit dem Gift austrank, soll er noch ein lauwarmes Bad zur Entspannung genommen haben!

Aus einem solchen Leben und Sterben werden keine Legenden und schon gar keine Religionen gemacht.

Epikur soll über dreihundert Schriftrollen hinterlassen haben. Von diesen sind uns leider nur noch Fragmente geblieben. Hier einige mehr:

»Die schönste Frucht der Selbstgenügsamkeit ist die Freiheit.«

»Nichts genügt dem, für den genug zu wenig ist.«

»Tue nichts im Leben, das Dich mit Angst erfüllt, wenn es Dein Nachbar entdeckt.«

»Wir sind einmal geboren; es gibt keine zweite Geburt. Wir werden nach unserem Tod nicht mehr existieren - in alle Ewigkeit nicht. Und doch achtet ihr nicht auf das Einzige, was ihr habt: diese Stunde, die ist. Als ob ihr Macht hättet über den morgigen Tag. Unser Leben wird ruiniert, weil wir es immer aufschieben zu leben. So sinken wir ins Grab, ohne unser Dasein recht gespürt zu haben.«

Horaz (Quintus Horatius Flaccus, neben Vergil der bedeutendste römische Dichter, 65vChr. bis 8 vChr.) presste diese Erkenntnis später in die berühmte Sentenz 'Carpe diem' in seinem Gedicht Carmen 1,11. Die Gedichtzeile heisst: »carpe diem, quam minimum credula postero.« oder übersetzt: »Pflücke dir den Tag, und glaube so wenig wie möglich an den nächsten!« (Oft wird Carpe diem im hedonistischen Sinne verstanden [Stichwort: Spassgesellschaft], was aber genau so falsch ist, wie es als "Nutze den Tag" zu übersetzen, im Sinne der Leistungsgesellschaft.

Weitere Fragmente von Epikurs Lehre:

»Wir müssen uns befreien aus dem Gefängnis der alltäglichen Geschäfte und der Politik.«

»Was vorhanden ist, sollten wir uns nicht verderben durch das Verlangen nach anderem, das nicht vorhanden ist. Erinnern wir uns daran, dass auch das Vorhandene ein Geschenk des Himmels ist.«

»Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles, was gut, und alles, was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. […] Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.«

»Ich höre, dass die Erregbarkeit Deines Körpers Dich häufig zur Wollust verleitet. Wenn Du dabei die Gesetze nicht brichst, die öffentliche Ordnung nicht störst, Deinen Nächsten nicht betrübst, Deinen Körper nicht aufreibst und das Lebensnotwendige nicht vergeudest, dann geh Deiner Neigung ruhig nach, wie es Dir beliebt. Es ist allerdings unausweichlich, dass Du gegen die eine oder andere dieser Schwierigkeiten stößt. Denn Liebesgenuss hat noch keinem genützt; man muss zufrieden sein, wenn er nicht schadet.«